von Aleister » Mo 18. Sep 2017, 09:00
„Faszinierende Geschöpfe, diese Greifen, nicht wahr?“
Kyan war nicht der Einzige gewesen, der bemerkt hatte, dass Lilliana neugierig mit ihren Fingerspitzen im Federkleid der schlafenden Greifin wühlte.
Kalinda hatte sich zum Kamin geschlichen und ein Feuer entfacht. Dicht neben ihm briet nun ihr und Lillianas Fisch, eingelegt in eine Eisenform, und sein Duft füllte nach und nach das Zimmer. Nicht nur der vom zarten Fleisch, sondern auch von Kräutern und Gewürzen, die die Waldläuferin in den Sud mit beigemengt hatte und man wusste - bald war es Zeit, Essen zu fassen!
„Ich muss ungefähr so alt wie du gewesen sein, als ich meinen ersten sah. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich gewesen war, von seiner Größe, den breiten Schwingen, den eleganten Bewegungen. Von da an wusste ich, ich wollte etwas machen, wo ich mit Greifen zu tun habe. Zur Sidhe hat es leider nicht gereicht - im Gegensatz zu dir habe ich keinerlei magisches Talent. Aber jeder kann auf seine Art den Leuten helfen. Oder in meinem Fall eher, diesen stolzen Tieren.“
Ihr Blick verlor sich in den prasselnden Flammen, bevor er zu Thethys wanderte.
Die Schlafende, da liegend wie ein Stein, zuckte hier und da zusammen. Was immer sie träumte, es musste ein wildes Geschehen sein.
„Sie hat viel durchgemacht. Sie mag ein wenig rau sein, aber mit ihr und Aleister hat es euch gut getroffen, denke ich. Ich kenne weitaus launischere Exemplare mit Partnern, deren Gemüt denen ihrer Tiere in nichts nachsteht.“
Kalinda zwinkerte, doch die Aufmunterung ihrer Worte spiegelte sich in ihren Augen nicht wieder. Wie als ob sie sich dessen bewusst wurde, wandte sie sich wieder ihrem Tisch zu und begann gewissenhaft, die darauf entstandenen Sauereien zu säubern.
„Magst du schonmal den Tisch decken? Im Schrank an der Wand sind Schüsseln und Besteck. Ich schneide uns noch etwas Brot.“
Thethys erwachte. Sie musste blinzeln, so sehr stach das Licht in ihren Augen. Gerade hatte sie noch geglaubt, Kalinda reden zu hören, und eine Hand war da gewesen, eine kleine Hand, die schüchtern durch ihre Federn gefahren war.
Doch dies war nicht die Hütte, dies war nicht einmal der Wald. Dies war...sie kannte diesen Ort.
„Die Berge...bin ich Zuhause?“
Wie war das möglich? Sie waren alle da. Der endlose Himmel mit seinem blassen Gestirn, der Schnee und auch die steilen Felswände, die zu ihren Seiten in die Höhe schossen wie Arme, zur Begrüßung nach ihr ausgestreckt. Hier war sie sie selbst, hier war sie frei. Bäume und Menschensiedlungen nur winzige Punkte im Schatten der Klippen.
Von überall her ertönten die Rufe der stolzen Berggreife, prallten ab von Stock und Stein, verfingen sich in Thethys´ Federn und flogen wieder davon. Bekannte Stimmen, aber auch junge Stimmen. Richtig, es war Nistzeit! Und Nistzeit war Jagdzeit. Sie musste alle zusammentrommeln. Weit konnten sie nicht sein.
Ich muss los.
„Was glaubst du, was du da tust, Thethys?“
Die Greifin hatte sich vom Erdboden abstoßen wollen, als eine ihr nur zu vertraute Stimme von hinten herangeglitten kam und sie erkalten ließ. Sie wirbelte herum.
Über ihr war niemand Geringeres als Aleister. Ein dicker Mantel aus weißen Federn umhüllte ihn wie ein Kokon und sein wehendes, silbernes Haar hob sich kaum ab von dem schneebedeckten Felsen, auf dem er stand. Ohne irgendeine Gefühlsregung im Gesicht schaute er auf sie hinab.
„Was tust du da?“
„Ich...“
Die Küken bellten durcheinander. Wie ein Pfeilhagel regneten ihre Stimmen auf Thethys hinab, durchbohrten ihr das Trommelfell. Es war nicht zum Aushalten!
„Sie verhungern, wenn ich nicht gehe. Ich muss das tun.“
Aleister schmunzelte und schüttelte den Kopf.
„Du irrst dich. Du kannst nichts mehr für sie tun. Du hast dich vor Jahren von ihnen abgewandt, um eine der unseren zu werden. Hast du das vergessen?“
„Aber...“
„Wenn du jetzt gehst, stirbt das Mädchen.“
„Mädchen? Wovon redest du?“
Seine Stimme war nur ein Flüstern inmitten der Schreie, aber Thethys verstand jedes Wort so deutlich, als wäre sie gleich neben ihr:“Du weißt, von wem ich rede. Schau genauer hin.“
Sie schaute genauer hin. Und daraufhin gaben ihre Beine fast nach und sie wäre zusammengebrochen, hätte nicht ein letzter Rest von Willensstärke in ihren Gliedern sie davor bewahrt.
Da war er. So lange hatte sie nach ihm gesucht.
Wie einer der unzähligen Gipfel thronte die Bestie auf dem Plateau, seine Haut bedeckt mit Speeren aus Eis, in denen sich das Licht der Sonne brach. Dieselben, leuchtend blauen Augen, die auch schon sie so hungernd angestarrt hatten. Es hätte nur zwei, drei Flügelschläge gebraucht, um zu ihm zu kommen. Aber Thethys konnte nicht, nicht als sie sah, was er in seiner Gewalt hatte.
Ein Mädchen mit unverwechselbar feuerrotem Haar hing kopfüber zwischen seinen Klauen und krümmte sich in Pein. Ihre Lippen waren blau und zitterten, als würde mit jedem weiteren Atemzug die Wärme des Lebens aus ihr weichen bis sie eine seiner Eisskulpturen wurde.
„Hilf mir!“
„Ich habe es dir schon hundert Mal gesagt. Nicht, bevor wir ausreichend vorbereitet sind.“
„Sie wird sterben!“
„Oh, ja. Das wird sie. Hättest du dich nur um deine Angelegenheiten gekümmert, Thethys. Dann ständen die Dinge jetzt nicht so, wie sie sind.“
Thethys knurrte. Jede Faser ihres Körpers schrie danach, ihren Partner zum Schweigen zu bringen. Sei es mit einem gut gezielten Schlag oder einem Hieb ihrer Klinge.
„Dann fahr zur Hölle!“, donnerte sie und stürzte sich auf den Weißen Drachen.
Es waren ja nur ein paar Meter. Doch jeder dieser Meter wurde zur Meile, egal wie sehr sie ihre Muskeln antrieb, und die Bestie? Sie grinste bloß, vier Reihen scharfer Zähne entblößend und führte das Mädchen näher zu seinem Maul.
„Argh!“
Thethys erbebte und mit ihr das Hirschgeweih an der Wand über ihr. Vor ihr war kein Drache, keine erfrorene Lilliana, kein Falkengebirge. Dafür aber ein verdutztes, braunes Gesicht und eine Hand, die ihr einen Fisch unter ihre Nase hielt.
„Ich dachte eigentlich, damit könnte ich dich sanft wecken. Stinkt er wirklich so doll?“, fragte Kalinda.
Die Weißgefiederte brauchte ein paar Sekunden bevor sie verstand. Ihr Blick huschte durch das Zimmer, suchte Eckel und Winkel ab. Lilliana war da, Kyan war da, Kalinda auch. Alles gut. Eigentlich.
Aber die Wut fraß sich immer noch durch ihre Adern. Wann, wann würden sie endlich dieses Monster erledigen? Sie wartete jetzt schon unzählige Jahre und nichts!
„Ich bin doch kein Hund!“, bellte Thethys. Kalindas Augen wurden nur noch größer. „Na, entschuldige. Muss ja ein toller Traum gewesen sein, wenn du dich so aufregst.“
Sie stellte eine bauchige Schüssel mit den dicksten Fischen vor die Greifin und stand auf. „Guten Appetit.“
Dann setzte sie sich an den Tisch, wo Lilliana schon wartete und eröffnete offiziell für alle das Abendmahl.
„Wisst ihr schon, wohin es geht? Ich könnte noch eine Karte entbehren, wenn ihr wollt.“, erwähnte sie beiläufig und legte sich den Bratfisch auf einen Kanten Brot zurecht.
Thethys ließ keinen aus den Augen. Sie verfolgte das Gesagte, mischte sich aber nicht ein. Zu sehr waren ihre Gedanken besessen von dem, was sie gerade erlebt hatte. Selbst der Fisch reizte sie nicht mehr und sie schlang einen nach dem anderen lustlos hinunter, bis die verdammte Schale endlich leer war.
Warum Lilliana? Warum hatte sie sie gesehen und nicht Nyx, ihre Schwester? Ungleicher konnten die zwei sich ja wohl nicht sein. Und der Drache...sie hatte kaum noch an ihn gedacht in den letzten Monaten. War es das? Sollte sie ihn vergessen? Schnaubend fuhr sie ihre Krallen aus.
Das kann der Gute sich abschminken. Ich werde nie...vergessen. Genug mit der Warterei! Gleich morgen fliege ich zurück und geige ihm mal so richtig die Meinung!
ein paar Monate vorher
Das Abendbrot liegt in den letzten Vorbereitungen, als Thethys einen Alptraum durchlebt. Das Gesehene weckt ihre lang vergrabenen Rachegelüste und stimmt sie nachdenklich, warum auch Lilliana in ihrem Traum auftauchte. Hat sie das Mädchen in der kurzen Zeit etwa schon lieber gewonnen, als sie sich eingesteht? Wütend und verwirrt, aber fest entschlossen, an ihrem urpsrünglichen Ziel festzuhalten, beschließt sie, am morgigen Tag ihren Urlaub zu unterbrechen und in den Hohen Forst zurückzukehren.
Spieler: Lilliana mit Kyan, Thethys
NPC: Kalinda
火の無い所に煙は立たぬ