von Freya » Sa 15. Jun 2013, 19:20
Sie brauchten ein Nachtlager. Nachdem Freya und Fatima ihren Botenauftrag erledigt und Gil’Leading mit einer erfreulichen Antwort im Gepäck verlassen hatten, waren sie nun bereits wieder auf halbem Wege zurück zur Ausbildungsstätte. Dank des Fuhrmanns, der sie ein Stück mitgenommen hatte, waren auch auf der vielbereisten Straße gut vorangekommen, doch es dämmerte bereits, und sie würden Shirga in keinem Fall noch an diesem Tag erreichen können. So hatten sich die Sidhe daran gemacht, sich nach einem Gasthof für die Nacht umzusehen - Was sich allerdings als nicht ganz einfach herausstellte, da jene sich an der großen Handelsstraße zwar dicht an dicht drängten, aber alle hoffnungslos überteuert waren. Deshalb hatten sie den Vorschlag der Leopardin befolgt und waren ein gutes Stück von der Hauptstraße abgewichen, mit dem Ergebnis, dass sie nun außer der einen oder anderen heruntergekommenen Spelunke überhaupt keine Gasthöfe mehr fanden…
„Schau mal, das dort sieht doch eigentlich ganz annehmbar aus, findest du nicht?“
Fragend blickte die junge Frau zu Fatima zurück, die ein Stück hinter ihr lief.
„Hm, was? Oh, du hast recht, das könnte etwas sein“,
stimmte die Leopardin in der Sprache der Telepathie zu. Dann holte sie mit wenigen Sätzen auf und betrachtete die „goldene Pfeife“, das Wirtshaus, dem sie sich nun näherten. Es schien wirklich ganz in Ordnung zu sein – Die Beete vor dem Eingang wirkten gepflegt, auch der Stall und das Wohngebäude schienen alles andere als heruntergekommen zu sein, und der Gestank war nicht so schlimm, wie er hätte sein können.
Einen Versuch war es immerhin wert.
Und sie sollten dieses Mal tatsächlich Glück haben, wie sich wenig später herausstellte. Als Freya den Wirt, einen stämmigen, lustig aussehenden Zwerg von fortgeschrittenem Alter, nach dem Preis für Abendessen und eine Übernachtung für sie beide fragte, bot er ihr eine wirklich nicht übertriebene Summe. So bestellte sie einen Becher Honigwein für sich und eine Schale mit Wasser für Fatima, sowie eine einfache Mahlzeit für sie beide. Während man diese vorbereitete, ließ sie sich auf eine leere Bank in der Ecke des Schankraumes fallen. Die Leopardin blickte sich misstrauisch im Raum um, dann folgte sie ihr und ließ sich gemütlich neben dem Tisch nieder. Sie erwartete zwar nicht wirklich, dass hier eine Gefahr drohte, doch Vorsicht war ja bekanntlich besser als Nachsicht. So nahm sie auch jetzt ihre Umgebung genau in Augenschein, während ihre Partnerin für einen Augenblick die Augen schloss und sich ausruhte.
Viele Gäste schienen sich heute nicht hierher verirrt zu haben, doch es war ja auch noch nicht spät, vielleicht kam ja noch jemand. Am Tresen stand ein älterer Mann und unterhielt sich mit einem jungen Mädchen, das umherhuschte und Bestellungen aufnahm und auslieferte. In einer Ecke saßen einige junge Männer, vielleicht Soldaten, und spielten ein einfaches Kartenspiel. Verächtlich sah sie zu, wie einer von ihnen sehr offensichtlich falschspielte – vermutlich merkten die Kerle es bloß nicht, weil sie schon sturzbetrunken waren. Das jedenfalls schloss sie aus den unzähligen leeren Krügen und Bechern, die überall herumlagen, und aus den lallenden Stimmen der Spieler. Fatima schnaubte abfällig und überlegte, wer von denen ihr mehr missfiel – Die Säufer oder der Betrüger? Ansonsten saßen in der Schänke nur noch zwei vornehm gekleidete Frauen, die leise miteinander plauderten und gelegentlich albern kicherten, und ein kleiner Mann, der gerade einen für seine Größe erstaunlichen Berg Essen in sich hineinschaufelte. Ihr war nicht entgangen, dass die meisten Anwesenden ihr ebenfalls unbehagliche Blicke zuwarfen, doch sie war daran gewöhnt. Viele sahen mit ihr zum ersten Mal eine echte Leopardin, und so nahm sie es gelassen hin und legte wartend den Kopf auf die Pfoten. Wo blieb eigentlich ihr Essen?
Als sich die Tür des Gasthauses öffnete, blickte sie jedoch auf, und sie spürte, wie auch Freya die Augen öffnete und ihre Aufmerksamkeit auf den Neuankömmling richtete.