Das lebensfrohe Gezwitscher der Vögel weckte Freya und sie blinzelte lächelnd in die frühsommerliche Sonne, die vom Morgenhimmel ihre ersten wärmenden Strahlen herabschickte. Tief atmete sie den Geruch ihrer Umgebung ein: Den herben Duft der Erde und des frischen Grases, das schwere, süßliche Aroma der Wildblumen, die am Ufer des nahen Lösfan-Flusses blühten, und die frische, klare Morgenluft, die einen wunderbar milden Tag versprach. Als sie sich von ihrem Lager erhob, regte sich auch die getupfte Suavis, die sich während der Nacht eng an sie geschmiegt hatte. Freya ließ den Blick über das Nachtlager ihres kleinen Trupps schweifen. In einem Durcheinander aus Decken und Gepäck ließen sich die Körper einiger zusammengerollter Novizen vermuten, die wohl noch friedlich schlummerten.
Freya räkelte sich zufrieden. Sie liebte es, mit Novizen auf Wanderschaft zu sein. Leider kam das nicht allzu oft vor, da sie in der Regel bei der Ausbildung innerhalb Shirgas unentbehrlich war, und sie war glücklich, dort so eine wichtige Rolle innezuhaben. Dennoch – junge Sidhe auf der Suche nach ihren Partnern begleiten zu dürfen, war etwas ganz Besonderes. Zum einen hatte man die Gelegenheit, einen der wichtigsten Momente im Leben eines Sidhe miterleben zu können, denn das war das erste Zusammentreffen mit dem Partner zweifellos. Andererseits bedeutete es eine Naturerfahrung, die Mentoren leider viel zu selten vergönnt war. (Sicher, auch deren Arbeit spielte sich nicht nur innerhalb der Ausbildungsstätte ab… doch selbst, wenn sie mit ihren Schützlingen auf einer Mission war, kam sie kaum dazu, die Natur um sich her einfach zu genießen oder gar ihrerseits Neues zu lernen, war sie doch mit der Betreuung der Novizen voll und ganz beschäftigt.)
Vor allem aber bot die lange gemeinsame Wanderung durch die abgelegensten Winkel Thalias die Möglichkeit, seine Mitreisenden näher kennenzulernen. Die junge Mentorin legte großen Wert darauf, die Kameradschaft unter den Novizen zu fördern. Man wusste ja nie, vielleicht würde ihr Leben einmal davon abhängen, dass sie sich voll und ganz aufeinander verlassen konnten. Und was war besser dazu angetan, ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, als eine lange Reise? Zwangsläufig mussten die Schüler lernen, einander zu verstehen und füreinander da zu sein. Es schweißte eine Gruppe zusammen, wenn sie über Wochen, oft Monate hinweg gemeinsam unterwegs waren, und genau deshalb hielt Freya das fünfte Ausbildungsjahr für einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung der angehenden Sidhe. Ein großer Teil der Ausbildung bestand in der Erforschung und dem Training von persönlichen Fertigkeiten – die gemeinsame Reise war es jedoch, auf der sie lernten, nicht nur allein, sondern vor allem auch mit anderen zusammenzuarbeiten. Freya fand, dass viele der Novizen als Kinder zu der Suche aufbrachen, und wenn sie heimkehrten einen großen Schritt näher am Erwachsensein waren als zuvor.
Auch Fatima und sie als Mentoren gaben sich Mühe, ihre jungen Begleiter während der gemeinsamen Wanderung möglichst genau kennenzulernen. Nicht nur fanden sie grundsätzlich die Bindung der Sidhe untereinander wichtig: Es war möglich, dass ihnen einige der Novizen, mit denen sie unterwegs waren, nach ihrer Rückkehr zur persönlichen Betreuung zugeteilt wurden. Das bedeutete, sie würden von da an zu den wichtigsten Personen in deren Leben zählen, würden ihre Bezugspersonen, ihre Vertrauten, ihre Prüfer und ihre Ratgeber für den Rest der Ausbildung sein. Sich dieser Verantwortung bewusst, wollte Freya möglichst jeden ihrer Schützlinge genau kennen und verstehen können. Die Partnersuche gab ihr eine einzigartige Möglichkeit, das Fundament für ein vertrauensvolles Verhältnis zu legen.
Zufriedenes Schnurren seitens der Suavis bestätigte Freya, dass ihre Partnerin verfolgt hatte, was ihr durch den Kopf ging, und ihr voll und ganz zustimmte. Dann aber öffnete die Getupfte die Augen einen Spalt und spähte sie mit einem unergründlichen Blick an.
Zähl mal durch.Irritiert wandte sich die junge Frau um und ließ ihren Blick abermals über die Novizen wandern, die so langsam auch wach wurden. Was meinte Fatima? Da fiel es ihr auf. Während unter den meisten Decken und Pelzen nun Haarschöpfe auftauchten und vom Schlaf steife Muskeln gestreckt wurden, blieb ein Lager unbewegt. Nein, nicht unbewegt… leer! Verdammt, wieso fiel Freya das erst beim zweiten Blick auf? Sie ärgerte sich über die eigene Unachtsamkeit, während sie ihrer Partnerin einen fragenden Blick zuwarf.
Hugin?, fragte sie in Gedanken.
Ich glaube, er hat das Lager vor einer Weile verlassen, als er Wache hatte, erwiderte die Raubkatze. Sie hatte es nicht direkt gesehen oder gehört, aber ihre feinen Sinne mussten es unbewusst registriert haben, während sie schlief. Geschmeidig wie immer erhob sie sich, schüttelte sich die Schläfrigkeit aus den Gliedern und trottete zu den übrigen Novizen hinüber, um sie nicht gerade sanft aus dem Bett zu scheuchen. Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete Freya, wie ihre Partnerin anscheinend vollkommen ungerührt im Tagesablauf fortfuhr.
Ich gehe ihn suchen, übermittelte sie ihr dann telepathisch. Zwar wusste sich der Junge zurechtzufinden, daran hatte sie keinen Zweifel… aber es ärgerte sie, dass er ihre Anweisungen missachtet hatte. Wieder einmal. Hugin war klug und talentiert, doch nicht immer einfach im Umgang.
Lass ihn doch… der taucht schon wieder auf, war Fatimas einziger Beitrag zum Thema.
Schon, aber es gefällt mir nicht, dass er einfach so herumwandert, vor allem nicht, wenn er eigentlich Wache halten sollte! Sag ihm das, wenn er wieder da ist.Freya zögerte. Sie ahnte, warum der Junge verschwunden war, aber das änderte nichts daran, dass er seine Pflicht missachtet hatte. Verständnis hin oder her... wenn der Junge sich ihr nicht anvertraute, dann konnte er umgekehrt auch bei so einer Aktion nicht mit ihrem Vertrauen rechnen. Doch Fatima hatte Recht, es war kein Grund, überstürzt aufzubrechen. So informierte sie zunächst ihre anderen Schützlinge über die Situation und verteilte Anweisungen für den morgendlichen Ablauf. Sie würde dem Ausreißer eine Lektion erteilen müssen, wenn er wieder auftauchte... gerade überlegte sie, ob sie sich telepathisch auf die Suche nach ihm begeben sollte, nur zur Sicherheit, da sah sie einen Wagen in großem Tempo die Straße entlangkommen, einen fahrenden Händler vermutlich.
Schon aus der Entfernung winkte sie den Mann zu sich, der unwillig sein Maultier zügelte und sie anstarrte. "Was'n? Hab's eilig." Das war kaum zu übersehen. Freundlich erkundigte sich Freya, ob er den Novizen vielleicht auf seinem Weg gesehen hätte, dann könne der Herr auch gleich weiterfahren. "Joa... da hinten war 'n Bengel. Is' mir fast unter die Räder gelaufen, der Kerl. Aber nur fast. Keine Ahnung, wo er dann hin is'. So, wenn's das war..." Ohne die Antwort abzuwarten, trieb der rüde Geselle sein Tier weiter und war im nächsten Augenblick bereits verschwunden. Kopfschüttelnd wandte sich Freya wieder ihrer Truppe zu. Ungeachtet der Laune des Händlers beruhigte sie die Nachricht, denn anscheinend war Hugin nicht in akuter Gefahr und stellte hoffentlich auch keine Dummheiten an. Dann konnte sie mit ihrem Donnerwetter auch durchaus noch bis nach dem Frühstück warten.
(ooc: Sorry, ist etwas länger geworden als beabsichtigt... ich konnte nicht widerstehen, die junge, idealistische Mentorin ein bisschen raushängen zu lassen
)
16. Kiriat, morgensFreya und Fatima wachen auf, stellen fest, dass Hugin verschwunden ist, und erfahren von dem Händler, dass der ihn gesehen hat. Sie beschließen, nichts zu überstürzen und beschäftigen sich erst einmal mit den anderen Novizen.
Krolon, Hugin, Freya