von NPC » So 1. Mai 2016, 00:29
Der Bursche
Die heitere Fangejagd nahm ihren Lauf. Immer wenn der Bursche langsamer wurde, weil ihm die Puste ausging, verfiel auch der Esel in einen langsameren Trab und die Entfernung zwischen Jäger und Gejagtem wurde scheinbar immer geringer. Nahm der Junge sich jedoch zusammen, sprintete noch einmal los um das Tier endlich einzuholen – nun, dann holperte der Esel von dannen und ließ seinen Menschen betröpelt weit hinter sich. Mehrere Male wiederholte sich das Schauspiel, sehr zum Verdruss des Burschens. Der Esel hingegen ging erhobenen Kopfes durch die Straßen, schrie ab und an und folgte einfach seiner eigenen Nase und seinem eigenen Interesse. Letztlich fing er ihn ein, indem er seinen Kopf wieder einschaltete – was dauerte und eigentlich ein Zufallsprodukt war. Der Bursche setzte sich einfach auf eine Kiste, viel zu sehr außer Atem und kraftlos, um dem törichten Vieh länger nach zu eilen. Und während er wie ein Häufchen Elend da so saß und versuchte sein Lungenvolumen mal eben zu verdoppeln, damit das Seitenstechen endlich nachlasse – da fiel ihm auch prompt ein, was er zu tun hatte: Nämlich nichts. Buchstäblich Nichts. Der Bursche konnte den Esel auf diese Weise nicht einfangen und es war sehr unwahrscheinlich, dass man ihm zur Hilfe kommen würde und dem Tier an sich war nach Unterhaltung. Daneben war der Esel jedoch sehr besitzergreifend und auf seine Art sehr treu. Es war auch nie so gewesen, als hätte der Bursche sich dieses verrückte Biest angelacht – der Equide hatte einfach irgendwann beschlossen, dass der Bursche sein Eigentum sei und sich so Biestborstig und widerspenstig verhalten, bis dem Wirt gar keine andere Wahl geblieben war, als ihn in die Obhut des Krüppels zu stellen. Ergo – Irgendwann würde das Vieh schon wiederkommen und sollte irgendein armer Tropf versuchen sich dem vermeintlich entlaufenen Tieres „anzunehmen“ - nun ja, danach wäre er WIRKLICH ein armer Tropf. Schade, dass der Bursche es nicht würde sehen können von seiner Warte aus, aber es dürfte definitiv hörbar sein. Je, wie dem Biest die Laus über die Leber gelaufen ist, attackierte er seinen „Retter“ mit hoher Kunstfertigkeit, übertölpelte ihn einfach oder, des Burschens Favorit (Aber nur, wenn es Fremden passierte, am eigenen Leibe erfahren ist es verdammt unschön zu erklären): Der sterbende Schwan. Mit wahrlich ausgefeilter Schauspielkunst röchelte, hustete, lahmte, torkelte, weinte und starb der Esel neben seinem „Retter“ und gab, je wie angepisst der Esel heute war, gleichzeitig noch eine Stareinlage, wie sehr sein „Besitzer“ ihn misshandelt hatte. Immer wieder ein paar Lacher gut – jedoch nur, und ausschließlich NUR wenn es nicht den Burschen selbst betraf. Diese Masche hatte das Vieh auch an ihm abgezogen gehabt. Beim ersten Mal war er noch darauf reingefallen – hatte ihn von seinen Lasten befreit, auf Verletzungen untersucht, zurück in den Stall gebracht. Beim zweiten Mal wurde er von der Stadtwache angehalten. Beim dritten Mal: Nun, da ließ er den Esel einfach liegen und ging einfach wieder nach Hause. Das hatte das Tier so arg aus dem Konzept gebracht, dass er einfach hinter dem Burschen hertrottete und bisher diese Sache nie wiederholte. Kurz darauf entdeckte der Krüppel aber auch, wie überaus praktisch diese Masche war, vorallem bei Dieben und seither hatte er diese Szene noch ein paar Mal mit ansehen dürfen. Die meisten Alteingesessenen Bewohner kannten den Esel aber auch und würden bei Fragen zum Burschen verweisen. Der Zwiespalt war nur, dass es nicht gern gesehen wurde, wie man mit Krüppeln verkehrte. Immerhin war es jedoch eine Wohltat, dass es auch als Unglück galt, sollte man direkt sich gegen einen Behinderten stellen. War nicht irgendein Stadtfest im Gange, oder es spätere Stunde und der Alkohol in Massen geflossen, was ebenso zeitgleich die Hemmungen fallen ließ, hatte der Bursche in Port Amun nicht sonderlich viel zu befürchten, gleichzeitig aber auch nicht mehr zu erwarten. Ihm selbst war der Gedanke natürlich nie gekommen, doch seine Beeinträchtigung brachte ihn tatsächlich ein sichereres Leben ein, als andere Leute von sich behaupten könnten. Unter Straßendieben galt es als Reiz- und ehrlos ihn zu überfallen, Raufbolde fürchteten die Strafe der Göttinnen, sollten sie ihn verprügeln und Kinder waren entweder zu klein um ihm ernsthaft durch Streiche zu schaden, oder alt genug, um denselben abergläubischen Respekt zu haben. Im Grunde musste er am meisten vor streunenden Tieren auf der Hut sein und seinem Brötchengeber nicht uninteressant werden. Jedenfalls hatte er nun seinen Esel wieder. Denn der Equide hatte tatsächlich schnell spitz bekommen, dass ihm keiner mehr verfolgte und dementsprechend war die ganze Farce des Weglaufens auch Hinüber und er trottete mit vollster Selbstverständlichkeit zurück. Mistvieh.
Gut, somit waren sie nun auch soweit sich um das Wesentliche zu kümmern. Gänsefutter. Bestimmtes Gänsefutter. Der Bursche wusste auch nur darum, da er vor ein paar Jahren bei einer Übergabe dabei gewesen war, wo neue Gänse erworben worden waren und eben jenes spezielles Futter ebenso den Besitzer wechselten. Zu erst musste er den Händler wieder finden, in der Hoffnung, dass er noch im Geschäft war. Doch zu allererst: Der Bursche kaufte ein Netz voll Äpfel. Es hatte keinen Zweck die Langeweile seines Begleiters zu ignorieren, wenn er keine Wiederholung haben wollte und die Alternative hätte bedeutet ihn zu Filke zu bringen – was der Bursche wiederum nicht einsah. Es hatte durchaus seine Vorteile das Biest bei sich zu haben. Und es machte wirklich einen sichtbaren Unterschied. Zwar verprügelte ihn keiner als Krüppel – aber er wurde ebenso gerne von Märkten und Ständen gescheucht, wenn er alleine herumlief und Besorgungen tätigte. Da konnte er offizielle Schreiben bei sich haben, dass sie vor Seriosität trieften – man würde ihn trotzdem in den meisten Fällen versuchen loszuwerden. Mit einem Esel jedoch, oder zu Wirtszeiten Esel und Karren, nun, den konnte man weniger ignorieren. Es machte sein Dasein einfach plausibler und zielstrebiger und sehr viel leichter – da man ihm nicht so leicht Betteltum und Hausiererei in die Schuhe schieben konnte. Der Rest des Mittags und frühen Nachmittags verbrachte das Gespann damit die kleineren Straßenmärkte abzuklappern. Gänse fanden sie eine Menge. Und auch anderes Viehzeug, sowie große Portionen Ärger (Esel fraß Kopftuch einer Magd, Bursche ließ sich dabei erwischen, wie er eine Gruppe junger Frauen zu auffällig auf die Hinterseite starrte; beide zusammen stießen Wasserkrüge um, als sie sich nicht einigen konnten in welche Richtung sie jetzt wollten). Aber, letztlich fanden sie den Händler und die richtigen Gänse.
Was nur zu neuen Problemen führte. Der Bursche positionierte sich kraft seiner Wassersuppe stoisch vor dem Händler, der ihn wiederum ignorierte. Die Kommunikationsprobleme waren eh vorprogrammiert, aber es mangelte definitiv nicht an Sturheit und Geduld der beiden Parteien. Der alte Herr, nicht größer wie der Bursche, schaute gekonnt über den Jungen hinweg und pries sein Federvieh in höchsten Tönen an – an alle Umstehenden. Und der Bursche...der blieb brav stehen und starrte. Keine Regung bei seinem Gegenüber. Es wollte auch keiner Gänse haben. In der Stadt waren es auch müßige Haustiere. Nahmen relativ viel Platz weg in der Wohnstube, fraßen dementsprechend viel, brauchten weit mehr Ausgang und Platz in den teils engen Gassen, als anderes Viehzeug. Da waren Hühner einfach wirklich praktischer. Gut, sie waren vorzügliche Wachtiere, aber auch nicht unbedingt nette Gesellen und Schlafnachbarn. Es war schon ulkig, wie der Bursche mit dem Esel vor dem Händler stand, der abwechselnd die hölzenere Käfige anpries, bzw. deren Inhalt und mit übertriebenen Schwung in einem engen Gatter die dortigen Insassen mit einzelnen Körnern fütterte und dabei zusah, wie sie sich fetzten. Es dauerte beinahe eine Stunde, ehe der Bursche Beachtung bekam. Eine Stunde und sehr viele „Was passiert, wenn der Esel plötzlich von Langeweile befallen wird“-Szenarien später. (Er hätte sich gar nicht so viele Sorgen machen brauchen, sein tierischer Begleiter döste friedlich). Der Händler drehte sich ihm zu und schaute ihn an und prompt zeigte der Bursche auf einen Sack Futter. Die Verwirrung im Gesicht des Mannes war zwar eine schöne Genugtuung nach einer Stunde Beine in den Bauch stehen, aber wenig hilfreich. „Das ist Gänsefutter.“, begann der Ältere mit aufgesetzter Erklärmiene, „Das ist nicht für dein Pony.“ Der Bursche fühlte regelrecht wie seine Gesichtshaut ungemütlich warm wurde, doch er beherrschte sich und zeigte weiterhin stoisch auf einen Sack Futter. „Wenn ich doch sage: das ist GÄNSE..“, mit einer Handgeste unterbrach der Junge den Händler und schüttelte vehement den Kopf. ER war nicht blöd, auch wenn dieser Dussel ihn so darstellte, dass er diesen kindlichen Erklärton anschlug sprach auch dafür, dass dieser Witzbold durchaus wusste wen er vor sich hatte. So viele Krüppel gab es nun auch wieder nicht. Scheinbar wusste der Händler jedoch nicht für wen der Bursche stand – was wiederum bedeutete, dass der Händler wiederum nicht dazu gehörte – Was eine nützliche Information war. Der Bursche deutete auf eine Gans und auf das Futter, holte seine Geldkatze hervor und zeigte abermals den Sack. „Aber mein Jüngelchen,“ setzte der Händler wieder an. Nun reichte es aber mal wirklich. Der Bursche war einiges gewohnt, aber auch er hatte seinen Stolz – wahrscheinlich war er sogar deutlich schneller eingeschnappt, als andere Personen. Da er sich verbal keine Luft machen konnte, tat er das nächstbeste: Gab dem Esel einen Klaps, weckte ihn dadurch, zog ihm am Ohr auf eine bestimmte Weise und ging. Im Grunde hatte der Bursche dem Esel gerade einen Freischein zum Trollen gegeben. Und da das Tier einen guten Tag hatte, tat er es auch noch mit vollster Zufriedenheit. Kein Sterbender Schwan und auch kein Attackieren. Der Esel stand einfach direkt vor dem Händler, drehte sich sogar nocht zu ihm, bauschte seine großen Lauscher auf und begann ein „Gespräch“ mit ihm. Der Equide schrie aus vollster Kehle. Als der verblüffte Mensch auf das Tier besänftigend einredete, wurde er noch lauter, antwortete ihm sogar, nickte gewichtig mit dem pelzigen Schädel – mehr brauchte es auch gar nicht. Die Lautstärke war enorm, die Gänse fühlten sich gestört und quittierten das Ganze zu anfang mit Zischen, dann mit offenem Randalieren und ihrerseits mit Kreischen. Der Händler wurde langsam panisch. Nachbarhändler hatten klugerweise Reißaus genommen, als sie gewahr worden waren, wie ihr Kollege mit dem Jungen umgesprungen war. Die Gänse im Gatter stemmten sich gegen ihre Umzäunung. Die Kisten samt eingepferchten Gänsen hüpften erbost und schon bald herrschte ein heilloses Durcheinander. Und weil es nicht genug war sammelte sich eine Gruppe Schaulustiger, die den Lärm mit einer Menge Gelächter unterstützten.
Am Ende kehrte der Bursche mit einer Kiste samt Gans, zwei Futtersäcken, dem Esel und sich selbst im Anker ein. Bezahlt hatte er auch nichts müssen. Nur Wiedersehen wollte der Händler den Krüppel, aus unerfindlichen Gründen, nie, nie wieder.
(Tene)
17. Kiriat, später Nachmittag
Bursche fängt seinen Esel wieder ein, treibt den Gänsehändler auf und kehrt mit seiner Fracht im Fröhlichen Anker ein
(tbc.: Zum Fröhlichen Anker)
Der Bursche, Talibor