von Zoe » Sa 4. Apr 2015, 10:56
Als Noah nicht nur die Apfelhälfte nahm, die sie für ihn gedacht hatte. Zuckten ihre Mundwinkel leicht.
Sie hätte auch gerne Apfel gegessen. Er schwieg und grinste nur. Wie konnte man hinter diesen Augen erkennen, was er vorhatte, er verriet sich nie. Auch wenn sie ihn heimlich beobachtete. Selbst bei Rehwild gab es, bevor sie in den Wald liefen ein Muskelzucken, oder einen Blick, der sie verriet, bevor sie in rasendem Galopp in Sicherheit huschten.
Bei Katzen, die im Grase kleine Tiere belauerten, auch dort. Zoe konnte sie einschätzen, wusste vorher, wann sie angreifen, und das hilflose Tierchen packen würden. Doch Noah. Er war ihr ein Rätsel. Nie wusste sie, was er in der nächsten Sekunde vorhatte. Nie konnte sie "in ihn hineinsehen".
Ihre Augen betrachteten jede Bewegung genau, und sie beobachtete, wie er ihre Apfelhälfte mit einem Spieß durchbohrte.
Wie automatisch stemmte sie ihre Hände in die Hüften und hob verwundert eine Augenbraue.
Etwas verstimmt darüber, einfach so ihrer Hälfte des Apfels beraubt zu werden.
Doch diese Verstimmung dauerte nicht mehr als eine Sekunde. Wie immer hatte er darüber, was er vorhatte nicht geredet. Und wie so oft hatte sie ihm Unrecht getan, denn er wollte ihr den Apfel gar nicht wegnehmen.
So wie er immer das Beste für sie wollte. Und sie konnte es nicht sehen, und wurde immer zuerst ärgerlich, wenn er etwas nicht tat, oder wenn er ihr etwas aus der Hand nahm, entweder um es besser zu machen, so wie den Apfel, oder damit sie sich nicht daran verletzte.
Warum nur konnte sie ihn nicht durchschauen. Warum nur war er nicht wie eine Katze oder ein Reh.
Warum nur verrieten weder sein Mund, noch sein Körper was er als nächstes tat?
Als er den Apfel geworfen hatte.
Sie hatte es nicht kommen sehen.
Einen Angriff von einem Tier aber, sah sie jedes Mal voraus. Selbst, wenn er glücklicherweise in keinem der Fälle ihr selbst gegolten hatte.
Zoe schämte sich ein wenig für diesen kindlichen Trotz, als die beiden Apfelhälften im Feuer brieten und anfingen einen gar wunderbaren Duft zu verströmen.
Ihr Trotz und ihre negativen Gefühle, die sie für einen kurzen Moment gehabt hatte, wurden von dieser Wohltat an Aromen und Gerüchen fortgewischt.
Kurz schloss sie die Augen und erinnerte sich an Schneeflocken vor dem Fenster. Draußen bittere Kälte und sie selbst im Warmen. Familie, Zuhause, Bratäpfel.
Mit einer warmen Hand auf ihrer Schulter, geborgen, in eine Decke gekuschelt und beschützt von der Kälte draußen.
Zoe öffnete die Augen wieder. Und beobachtete den Distelfinken, der sein Köpfchen in sein Gefieder gesteckt hatte, so als würde ihn frieren.
Doch jetzt war es warm.
Die Sonne kitzelte auf ihrer Nasenspitze, die fallschirmartigen Samen des Löwenzahns flogen umher.
Nie wäre sie auf die Idee gekommen er würde jetzt zu dieser Zeit dieses köstliche Winterdessert für sie beide zubereiten.
Er war wirklich wunderbar. Und so lieb zu ihr.
Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
Wie ein kleines Kind eine Laterne zum Fest der Lichter trug, hielt Zoe stolz und selig ihren halben gebratenen Apfel am Stock.
Fast war ihr, als wäre dieser Apfel wertvoller, als der Reichsapfel des Königs, oder die Äpfel in Geschichten, die sich, von den Göttern berührt in Gold verwandelten.
Sie schüttelte den Gedanken ab.
Sie träumte schon wieder.
Auf jeden Fall war dies der Leckerste Apfel im ganzen Südwald, nein im ganzen Südwesten, wenn nicht in ganz Thalia.
Seine liebevollen Worte, ließen sie aufblicken.
Er sagte selten etwas. Doch wenn er etwas sagte, dann um sie zu beschützen.
Sie pustete auf ihren Apfel, und redete, während er ihr zuhörte.
Es tat gut, dass er da war. Und es tat gut, dass er zuhörte.
"Ist das die Waffe, die du wählst?" fragte er sie. Und Zoe hielt inne und überlegte.
Wie immer überlegte sie laut, und ließ ihn an ihren Gedanken teilhaben.
"Zuerst," sagte sie leise, und schaute ihn mit ihren großen blauen Augen an. "Zuerst hatte ich an einen Bogen gedacht, da ich gut zielen und treffen kann. Ich glaube ich will nichts jagen, das direkt vor mir steht, so wie mit einem Schwert oder einer Axt. Ich habe lieber noch etwas Platz zum weglaufen und verstecken, wenn etwas schiefgeht.
Selbst wenn ich Vögel jage, es gibt Tiere die auch Vögel jagen, und sie sind viel größer als ich. Wenn ich so einen aufscheuche..
Doch der Bogen ist nicht gut für mich, ich habe daran gedacht, dass er mir im Weg wäre, wenn ich in einem Baum klettere, dort sitze, und Tiere beobachte, oder einen Fels hinauf steige. So ein Bogen ist verdammt sperrig."
Das kleine blonde Mädchen atmete enttäuscht aus, und strich sich eine der honigfarbenen Strähnen aus dem Gesicht. Aber ihre Hände klebten noch ein wenig vom Bratapfel, so dass sich die Strähne an ihrem Finger fing.
Mit einer schnellen Bewegung, heimlich, wischte sie ihre klebrigen Finger an ihrem Kleidchen ab und sprach weiter.
"Dann dachte ich an etwas anderes, das man werfen kann. Ein Speer ist leider noch unhandlicher als ein Bogen. Also dachte ich an einen größeren Dolch, den ich werfen kann. Aber, wenn ich ihn einmal geworfen habe, bin ich hilflos. Eine Waffe zu werfen kommt mir dumm vor, wenn man nur eine hat. Dann hat man nämlich hinterher keine mehr, wenn man nicht trifft.."
Sie lächelte und bekam davon kleine Grübchen.
Doch ihr Gesicht wurde wieder ernst und ihre Phantasie machte wilde Sprünge.
Sie erinnerte sich an ein Buch über den Urwald und ihre Augen begannen zu leuchten.
"Man kann auch kleine giftige Pfeile mit einem Blasrohr verschießen, aber ich habe keine Ahnung von Gift, und wenn ich einen Vogel mit Giftpfeilen abschieße, möchte ich ihn danach nicht mehr essen. Das ist wirklich eklig."
Das kleine Blumenmädchen machte ein angeekeltes Gesicht, in dem sie auch demonstrativ die Zunge herausstreckte.
Über Waffen nachzudenken, war gar nicht so einfach, wenn sie sich vorstellte wie viele verschiedene es gab, bei denen man nicht unmittelbar vor seinem Gegner stand.
"Schließlich dachte ich an Steine. Im Steine werfen bin ich geübt. Steine gibt es überall, und ein Beutelchen davon kann man auch mit sich herumtragen, ohne dass es stört.
Aber sie haben nicht genug Wucht. Besonders nicht, wenn etwas größeres hinter mir her ist.
Also habe ich an die Steinschleuder gedacht. Die Steinschleuder selbst ist beim Klettern nicht im Weg. Ich kann mir nicht selbst damit weh tun.
Nur müsste ich sehr viel üben, damit die Steine auch gut treffen. In einer Geschichte in einem Buch ging es um einen Schafshirten, der im Krieg mit einer Steinschleuder einen Riesen getötet hat.
So etwas traue ich mir nicht zu. Es wäre wohl besser, noch einen Trumpf im Ärmel zu haben, wenn ich das Tier nicht treffe und es dann vor mir steht."
Lächelnd holte sie ihr Schnitzmesser hervor, mit dem sie auch Pilze sammelte. Dann steckte sie es wieder ein.
Mit beiden Händen zeigte sie nun auf ihr Kleidchen.
"Auch das Kleid ist im Weg, wenn ich klettere. Kann ich ein paar Hosen bekommen. Nur für den Wald.
Ich mag Kleider. Für hier."
Ihre blauen Augen beobachteten ihn. War sie zu weit gegangen. Was würde er zu den Hosen sagen? Er hatte immer gerne hübsche Dinge geschenkt. Eine Hose war nicht besonders hübsch. Aber praktisch. Noah war auch praktisch. Er würde es verstehen.
Ihre Augen blickten in seine. Wie eben wünschte sie, sie könnte in ihn hineinschauen, könnte in seinen Gedanken lesen. Könnte spüren, was er fühlte. Doch nie schaffte sie es vollständig in ihn hineinzublicken.