Vielleicht war das ein Fehler, doch Ishara richtete kaum einen Blick auf die anderen Gäste, die den Schankraum um sie herum füllten. Sie bemühte sich niemanden zu berühren, niemandes Blick zu begegnen und jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden, während das flackernde Feuer sie mit seiner Wärme anzog, wie das Licht eine Motte. Hätte sie sich allerdings umgesehen hätte sie die Zwerge vermutlich bemerkt, es gab ja genug davon. Und dann wäre sie wohl so rasch sie nur konnte wieder hinaus gelaufen, mindestens bis zum Stall, wahrscheinlich eher in Regen und Nacht, soweit ihre Beine sie tragen konnten. Hätte Lileths Wahl sich plötzlich zu der Entscheidung zwischen einer Lungenentzündung und… Nun Zwergen gewandelt, es wäre eine leichte Entscheidung gewesen. Aber die Halbelfe wusste nicht, dass sie vor dieser Entscheidung stand, also konnte sie sie auch nicht treffen. Stattdessen trat die Blonde so nahe an den Kamin, dass die Hitze fast schon nicht mehr auszuhalten war. Das Feuer musste seit Stunden brennen und der Stein des Kaminsims strahlte ebenfalls spürbare Wärme ab. Das zumindest war ein großartiges Gefühl und Ishara erlaubte sich für einen kurzen Augenblick die Augen zu schließen. Nur für Sekunden, nur um die Wärme auf ihrer Haut zu spüren, als wäre es die glühende Sommersonne. Es wäre leichter gewesen zu trocknen, hätte sie den Umhang abgelegt, der schwer und nass um ihre Schultern lag, aber sie tat es nicht, lauschte auf die Geräuschkulisse, die sie umgab, atmete die vielfältigen Gerüche, die den Schankraum erfüllten. Ihr Magen knurrte verräterisch und sie öffnete die blauen Augen ohne das Kind bemerkt zu haben, dass nur ein kleines Stück von ihr entfernt vor dem Kamin gespielt hatte. Sie hatte schlicht nicht nach unten geblickt und wenn sie das Augenpaar spürte, das eine Weile neugierig auf sie gerichtet war, so hielt sie es vermutlich für Einbildung, das Ergebnis der Situation, während sie schlotternd die Arme um ihren Körper schlang.
Aber Ishara spürte sehr wohl, wie kurz darauf etwas gegen ihre Beine stieß und sie fuhr erschrocken zusammen, ehe sie alarmiert herumfuhr, hoffend vor sich nur eine Katze oder einen Hund zu erblicken und es doch besser wissend. Tiere mochten sie, kamen oftmals auf sie zu, das war nicht der Punkt. Aber sie hätte… Gewusst, wenn es ein Hund oder eine Katze gewesen wäre hätte es… Auf eine Weise gespürt, die sich mit Worten nicht erklären ließ. Allerdings… Hätte die Halbelfe niemals erwartet ein Kind vor sich zu sehen. Einen kleinen Jungen, der sie strahlend anlächelte.
Das war wahrscheinlich besser als jemand anderes aber dennoch wallte Nervosität in der Blonden auf. Zuletzt hatte sie mit Kindern zu tun gehabt, als sie selbst eines gewesen war und sie hatten ihr nur wenig Grund dafür gegeben, sie zu mögen oder sich sicher zu fühlen. Im Gegenteil. Doch… Sie war kein Kind mehr, nicht so und der Junge war sehr klein, ein bisschen stämmig und sah nicht aus, als könnte er viel anrichten.
Noch dazu hielt er eine dampfende Schale mit verführerisch duftendem Eintopf in den kleinen Händen und reckte ihr selbige eifrig entgegen, schon eine ganze Weile, während Ishara sich darum bemühte, die Situation richtig einzuschätzen. Sie blinzelte und zögerte, wagte nicht recht, sich zu rühren. Ein kurzer Blick versicherte Lileth, das niemand sonst auf die Sache zu achten schien.
„Für… Mich?“, erkundigte sie sich schließlich zögernd, ungläubig. Es sah so aus aber… Es war trotzdem schwer sich das auch nur vorzustellen. Als der Kleine jedoch eifrig nickte, überwand die Blonde langsam und mit einem erneuten Magenknurren ihre Starre. Sie streckte zögernd die Hände nach der Schale aus, noch immer darauf wartend, dass irgendetwas geschah und sich der Haken an der Sache zeigte. Das nichts passierte nährte einerseits ihr Misstrauen, andererseits veranlasste der Eintopf in ihren Händen ihren Magen dazu noch fordernder zu werden. Das Hungergefühl machte sie fast schon schwindelig. Vielleicht würde sie das bereuen, vermutlich eher früher als später aber… Es war unmöglich länger zu widerstehen.
„D-Danke“, wandte sie sich leise und sehr unsicher an das Kind, nachdem sie Eintopf und Brot entgegen genommen hatte. Und sie zögerte nur noch eine Sekunde, ehe sie hastig einen großen Bissen Brot abbiss. Auch wenn das Kind die geste ehrlich meinte. Sie machte sich keine Illusion darüber, was geschehen würde, wenn jemand anderes es bemerkte. Aber was sie bis dahin im Magen hatte…
Mit einem wachsamen Blick durch den Raum versicherte die Schützin sich, dass es noch nicht soweit war, dann ging sie, den Rücken am Kamin langsam in die Hocke, konnte die Schale auf ihren Knien balancieren und wurde so vor allem ein unwahrscheinlicheres Ziel für Blicke. Gleichzeitig brachte es sie natürlich der Augenhöhe des Kindes näher, während sie ausgehungert das warme Essen verschlang. Auch wenn sie sich nicht die Zeit nahm es wirklich zu genießen. Der Eintopf war hervorragend.