von Aleister » Sa 14. Jan 2017, 18:54
Erstpost
Thethys war zurückgekehrt. Seit Aleister sie auf dem Weg zu Gil‘Leading mit den besten Wünschen verabschiedet hatte, zählte er in seiner Kammer schon vier Tage. Tage, an denen er an jedem einzelnen den Schatten einer mächtigen Erle aufgesucht hatte, dieselbe Zeit, derselbe Ort, wie abgesprochen. Der Hain vor den Toren der Stadt wenn sich die Mittagssonne zeigt. Einen Tag mehr und er hätte an ihr gezweifelt. Aber auf Thethys war, wie immer, Verlass.
Ihre Präsenz konnte er spüren noch bevor sie am Himmel erschien. Sie kribbelte in seinem Kopf wie ein Haufen aufgebrachter Ameisen und die Schwere, die auf seinen Schultern lastete, verflog.
Wie ein Stein raste sie auf das Erdreich zu, nahm dabei Äste und Zweige mit, um dann keuchend von Grasfächern in Empfang genommen zu werden, die Schlimmeres verhinderten.
Die Winde hatten ihr Federkleid zerzaust und Sprenkler von getrocknetem Blut bedeckten die Vorderseite ihres Fürbugs. Doch war es nicht ihr eigenes. Thethys‘ Wunden waren Aleisters Wunden. Der Fluch ihrer Partnerschaft. Zumindest ersparte ihm das, sich ständig zu vergewissern.
„Du bist unverletzt.“, begrüßte der Sidhe seine Partnerin. „Wie nicht anders zu erwarten. Ich hatte dich eher zurückerwartet. Hast du getan, was ich dir aufgetragen habe?“
Thethys legte ihre Schwingen an und schüttelte sich, wobei dem Halbelf der süßliche Duft des Todes in die Nase stieg, der sich in ihren Federn verfangen hatte.
„Ich habe getan, was du wolltest.“, krächzte sie und senkte den Kopf. „Aber es gibt ein Problem. Nicholas kam genau im falschen Moment. Ich musste mich verstecken und hab dabei das Medaillon verloren, das du mir gegeben hast. Er hat es gefunden. Ich kann von Glück reden, dass er mich nicht auch gefunden hat. Oder sein Mentor.“
„Der Körper?“
„Hab ich an die Fische verfüttert. Treibt den Dramaru hinab.“
Aleister schloss die Augen. Er musste nachdenken. „Was dann?“
„Dieser Mentor, er ist kein Idiot. Er hat Verdacht geschöpft. Ich habe belauschen können, wie er Nicholas versprochen hat, morgen einen Abstecher nach Gil‘Leading zu machen. Er hat dort eine Schwester, die unser kleines Schmuckstück nach Shirga bringen soll. Vermutlich eine Sidhe. Der Junge ist übrigens...verstört. Ich glaube, er spürt, das er etwas verloren hat.“
Thethys‘ Haupt sank immer tiefer, bis ihr Hals in einen Buckel überging, eingepfercht zwischen zwei vorgezogenen Schulterblättern. Nichts war mehr zu sehen vom Stolz und der Pracht der Greifen.
„Habe ich je Hand an dich gelegt oder dich bestraft?“ Aleister streckte seine Finger nach der Chimäre aus. Ihre Augen blitzten auf. „Nicht mehr seit unserer Begegnung in den Bergen, nein.“ Ihr Schnabel begegnete seinen Fingerspitzen, vollführten den Hauch einer Berührung.
„Ich habe versagt, aber es ist noch Zeit. Sie sind in der Nähe, Aleister. Ich könnte...“
„Nein.“, unterbrach der Sidhe seine Partnerin. „Ich habe eine andere Idee. Such dir einen Platz zum Erholen. Und wasche dieses Blut und den Gestank ab. Ich erwarte dich übermorgen zurück, hier.“
„Was, wenn du nicht da sein wirst?“
„Ich werde da sein. Und nun berichte, was du über Nicholas‘ Mentor weißt.“
Es klopfte. Aleister blinzelte. Dämmerlicht glimmte von links durch ein Fenster und offenbarte ranzige Staubflecken, die auf dem Glas klebten. Dahinter lauerte die Stadt, mit ihren unzähligen Gassen, Häusern, Dächern und Menschenpunkten. Richtig, er war in der Gaststätte. In der Gaststätte, die er bei seinem letzten Besuch deutlich sauberer vorgefunden hatte.
Mit beiden Armen stemmte der Sidhe sich aus seinem Stuhl hoch und strich sein Gewand glatt.
„Name, Anliegen.“
„Ich bin es, Herr, Melvan. Ich habe Informationen für Euch.“, säuselte ihm eine dünne Stimme entgegen.
„Tretet ein.“
Die klobige Holztür öffnete sich einen Spalt breit und wich nach und nach dem Gesicht eines Mannes. Es war ein einfaches Gesicht, weder war die Nase zu groß oder zu klein, noch die Haare zu hell oder zu dunkel. Ein bürgerlich gekleideter Neimand, gerade bürgerlich genug, um in gewissen Gegenden nicht von den Stadtwachen zurück in die Gassen gescheucht zu werden.
„Nur keine Scheu, Melvan.“
Melvan trat ein und verneigte sich.
„Sprecht.“
„Es war, wie Ihr gesagt habt, Herr.“, begann er. „Der Sidhe ist heute in die Stadt gekommen. Ich bin ihm gefolgt, wie Ihr es wolltet. Er wohnt am anderen Ende der Stadt, in den feinen Vierteln, Ihr wisst schon. Sie haben dort ein Haus. Ich hatte Glück, Herr, und konnte einen geschwätzigen Diener abpassen. Er schwärmte in den höchsten Tönen von seiner Herrin. Ihr Name ist Lerana Scaglio. Sie hat ihre Ausbildung noch nicht lange beendet, recht jung. Sie ist nur zu Besuch und will übermorgen abreisen.“
Lerana Scaglio also...sie wird es ohne Zweifel haben. Mir bleibt noch etwas Zeit, aber nicht viel.
Aleister lauschte den restlichen Informationen Melvans über Standort und Aufbau des Scaglio-Hauses. Dann kramte im Inneren seiner Tasche und fischte ein paar Münzen hervor. Klimpernd ließ er sie in die weit geöffneten Hände regnen. Melvans Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen.
„Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Grüßt Eure Gattin von mir.“
„Sie wird sehr erfreut sein, ja, das wird sie.“
„Nicht zu vergessen, Eure Kinder. Wieviele waren es doch gleich?“
„Vier Bälger. Mittlerweile, Herr. Es ist etwas her, dass Ihr Euch habt blicken lassen.“
Aleister ließ eine weitere Münze über seinen Daumen springen. Melvan fing sie geschickt und verneigte sich erneut.
„Kauft Euren Kindern etwas Süßes. Gut. Das wäre dann alles.“
„Es war mir wie immer ein Vergnügen, Herr.“
Melvan entfernte sich. Aleister zog sich seinen Mantel über und seine Kapuze über das Gesicht, bis ihr Schatten über seine Nase fiel. Es wurde Zeit, jemandem einen Besuch abzustatten. Und dieser jemand lebte gar nicht weit entfernt.
---
Nur wenige Schritte vom Gil‘Leading‘schen Marktplatz entfernt fiel sein Quartier dem Sidhe direkt ins Auge - es ragte hervor wie ein Dorn zwischen den übrigen Geschäften und Läden, die sich friedlich aneinanderreihten. Ein Rosendorn. Schon seine Außenwände waren durchzogen von der Schönheit auserlesener Steinmetzarbeit; exotische Formen von Pflanzen und Tieren schmiegten sich an sie wie eine seufzende Liebhaberin. Vor seinen Schaufenstern ertönten etliche Stimmen, Stimmen in denen die Sehnsucht eines Gaffers mitschwang, der etwas entdeckt hatte, was seine Begierde antiproportional zum Inhalt seines Geldbeutels steigerte.
Ein prächtiges Gebäude, dessen Licht viele Menschen anzog - nicht nur die Motten sondern auch die Blutsauger der Gesellschaft.
Aleister war nicht das erste Mal hier. Aber sein letztes Mal war schon eine Weile her. Blieb zu hoffen, dass Ongar sich noch an seine Person erinnerte. Und überhaupt zugegen war und ihn empfangen würde.
Zielstrebig bewegte er sich auf die farbenfrohen Glastüren zu, die den Eingang des Geschäfts darstellten. Die Menschenmassen zu durchqueren stellte kein Problem dar. Die Gesichter, die sich ihm zuwandten, versanken alsbald in den Menschenwänden, die eine freie Passage in das Gebäude für ihn flankierten. Die einfachen Bürger waren leicht zu beeindrucken. Das war schon immer so. Doch die Nacht würde sie durch neugieriges Gesindel ersetzen, deshalb wollte er sich lieber beeilen.
Ongars Kaufmannsladen begrüßte seine Kundschaft mit einer hellen Glockenstimme. Ein süßer, angenehmer Duft saß in der Luft. Hier setzte sich der Prunk der Fassade fort, Kuriositäten und Kostbarkeiten aller Art warben hier allein durch ihre Erscheinung für sich - Edelsteine, Zierwaffen, Kelche, Stoffe - alles was das Herz begehrte. Umso ungewöhnlicher war es, dass auch für den einfachen Mann Waren zum Verkauf standen.
Zwischen den Auslagen flatterten junge Damen umher, rotbackig und säuselnd, die es verstanden, der vornehmlich männlichen Kundschaft einen Kauf noch schmackhafter zu machen.
Hinter einer Theke im hinteren Teil des Raumes stand eine weitere Dame, die im Gegensatz zu den anderen etwas älter aussah. Allein ihr prüfender Blick, der in regelmäßigen Abständen durch den Raum glitt und das abschließende Schnalzen ihrer Zunge, verrieten, dass sie hier das Sagen hatte. Aleister steuerte auf sie zu und sprach mit gedämpfter Stimme:“Guten Tag. Ich wünsche den Herrn dieses Hauses, Ongar, zu sprechen. Es ist eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit.“
Ein praller Beutel landete neben dem Vermummten auf den Tisch. Hungrig klackten die Münzen aneinander. Die Geste sprach für sich.
„Sagt ihm, dass wir bereits Geschäfte miteinander hatten und ich ihn um ein weiteres ersuche, das für ihn durchaus lukrativ entfiele.“
Noch bevor die Augen der Verkäuferin sich an das Gold haften konnten, und dabei womöglich noch grapschende Finger, ließ er den Beutel zurück in seinen Mantel gleiten.
19. Kiriat, Abendzeit
Aleister erinnert sich an seine gestrige Begegnung mit Thethys. Ein Informant besucht ihn in seiner Wahlgaststätte und gibt ihm Details zum Aufbewahrungsort eines für ihn wichtigen Objekts. Er stattet Ongars Kaufmannsladen einen Besuch ab.
Spieler: Aleister
NPCs: Verkäuferin in Ongars Kaufmannsladen
火の無い所に煙は立たぬ