von Reika » Mi 3. Mai 2017, 21:43
Schweigend und mit gesenktem Kopf ließ Reika die Schimpftirade über sich ergehen und zeigte auch keine Reaktion, als sich Shard ungefragt neben sie in den Unterschlupf quetschte. Sie legte sich nur wieder hin und zog Schweif, Flügel und Beine so eng an ihren Körper wie es möglich war. Auch als Shard sich das Wasser aus dem Fell schüttelte und sie dadurch wieder komplett durchnässte, rührte sie sich nicht. Stumm starrte sie weiter auf einen Punkt vor ihren Pfoten und rollte sich etwas enger zusammen wodurch sie noch kleiner erschien als sonst.
Ja, es war eindeutig ihr Bruder und er hatte genauso reagiert wie sie befürchtet hatte. Nichts hatte sich geändert und es würde sich auch nie ändern. Er verstand nicht was sie fühlte und wie ihre Sicht auf die Welt war. Oder wollte es nicht verstehen.
Auch wenn Reika diese Reaktion vorhergesehen hatte, war sie doch selbst überrascht wie sehr es sie traf. Die Freude über das Wiedersehen und das schöne Gefühl, aus der Einsamkeit auszubrechen und wieder die Sicherheit und Gesellschaft von Familie zu spüren, beides wurde durch seine Worte hinweggefegt wie Staub im Sturmwind. Zurück blieb nur eine Wüste aus Schmerz und Trauer.
Ihre Eltern waren nicht das Problem. Reika kam nicht nur äußerlich stark nach ihrer Mutter. Auch sie war eine ratlose Nomadin gewesen, ehe sie sich der Liebe zu Shargo wegen schließlich niedergelassen und ihr altes Leben aufgegeben hatte. Und gerade deshalb war Ravia vielleicht die einzige gewesen, die einigermaßen verstand was Reika umtrieb. Sicher hätte... hatte sie sich Sorgen gemacht, aber trotzdem nicht versucht Reika aufzuhalten. Schließlich ging es ihrem Nachwuchs doch darum sein eigenes Glück zu finden, so wie sie einst...
Shargo war ein anderer Fall gewesen. Genauso wie Shard hatte er nicht verstanden worum es Reika ging und er war auch dagegen gewesen das sie das Rudel verlassen wollte. Aber Schuldgefühle hegte Reika dadurch nicht. Sie war ja nicht stillschweigend abgezogen sondern hatte sich bemüht zu erklären und sich auch von ihnen und dem restlichen Rudel verabschiedet. Damals zwar noch mit dem Plan Torlamun zu erforschen, aber mit der klaren Absicht wegzukommen. Es machte in Reikas Augen keinen Unterschied das sie Torlamun dann gegen dieses neue grüne und unbekannte Land eingetauscht hatte. Weg war weg.
Die einzige bohrende Schuld die sie plagte war Shard gegenüber. Ihn hatte sie zurückgelassen, bei ihm war sie einfach stillschweigend aus einer Laune heraus abgezogen. Es war nicht richtig gewesen und das war das einzige was sie wirklich zutiefst und ehrlich bereute.
Erstmals hob sie wieder ihren Kopf und stellte sich dem Blick ihres Bruders. Sie sagte nicht, sie tat nichts, einzig die Traurigkeit sprach aus ihren klaren, hellblauen Augen. Sie hatten sich gerade erst wiedergefunden. Warum konnte er sich nicht einfach am Augenblick freuen? Warum konnte er nicht akzeptieren das sie ihrem eigenen Weg folgen und sich nicht den eines anderen aufzwingen lassen wollte? Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit waren sie wieder zusammengekommen und das einzige worum es ihm ging war sie wieder zurück in ein Leben zu bringen das sie aus freien Stücken abgelehnt hatte.
“Was ich hier mache?“ Ihre Stimme klang matt und kraftlos und es schwang die gleiche Traurigkeit mit die auch ihr Blick ausstrahlte. Wieder einmal begann sie ganz erbärmlich zu zittern, wobei das diesmal aber eher den Wogen von Trauer geschuldet war die durch ihren Körper brandeten. “Ich lebe mein Leben Shard. Ein Leben das ich weder dir, noch den anderen aufzwingen will und wollte.“ Sie hatte ihn nicht darum gebeten mitzukommen, genauso wenig wie die anderen Greife des Rudels. Es war seine eigene Entscheidung gewesen sie zu begleiten, oder nicht?
Die Greifin liebte das Reisen und das Unbekannte. Sie lebte im Hier und Jetzt und für den Moment. Wo ihr Bruder nur Gefahr sah, sah sie Möglichkeiten. Wo er lange zögerte und Konsequenzen abwog, handelte sie und folgte dem was ihr ihr Gefühl sagte. Sie wusste zwar nicht warum sich ihre Ansichten so unterschieden, aber sie wusste das es so war.
“Warum bist du hier?“ stellte sie nun ihrerseits die offensichtliche Frage. Auch wenn sie die Antwort vermutlich schon kannte und erwartete – um sie zum Rudel zurückzubringen - wollte sie es doch von ihrem Bruder selbst mit seinen eigenen Worten hören.
21. Kiriat, Spätnachmittag/Abend
Reika lässt die Standpauke über sich ergehen, denkt über die aufgeworfenen Fragen nach und fühlt Trauer und Enttäuschung über Shards Ansichten und Unverständnis. Antwortet ihm und stellt ihrerseits eine Frage.
Shard, Reika